überlange Verfahrensdauer

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Rechtsanwalt Robert Hotstegs

Auch in kirchengerichtlichen Verfahren sind überlange Verfahrensdauern zu beobachten und zu beklagen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Der Verfasser selbst ist Mitglied eines ehrenamtlichen Kirchengerichts gewesen und hat dort zur Verzögerung von Verfahren beigetragen. Unabhängig aber vom jeweiligen Auslöser einer Verzögerung droht das Vertrauen des Betroffenen in den kirchengerichtlichen Rechtsschutz zu schwinden. Die Kirchengerichte müssen daher ebenso wie die Kirchen als Träger dieses Rechtssystems ein Interesse daran haben, überlange Verfahren zu vermeiden.

Und das Kirchenrecht muss Antworten auf verzögerte Verfahren finden. Ob es eine Verzögerungsrüge wie im staatlichen Recht gibt und ob den Betroffenen ein Entschädigungsanspruch zusteht, hat der kirchliche Gesetzgeber offen gelassen. Nach dem Urteil des Verwaltungssenats bei dem Kirchengerichtshof der Ev. Kirche in Deutschland vom 23.11.2018, Az. 0135/3-2018 lässt sich ein solcher Anspruch auch nicht aus dem Verweis auf die staatliche Verwaltungsgerichtsordnung und das staatliche Gerichtsverfassungsgesetz herleiten.

Daher dient die nachfolgende Übersicht lediglich dazu, auf aktuelle Verfahrenslaufzeiten aufmerksam zu machen. Da es sich hierbei ausschließlich um Kostenfestsetzungsverfahren handelt, sind aus anwaltlicher Sicht Laufzeiten von deutlich über drei Monaten in der Regel bereits als unzumutbar anzusehen.

GerichtAz.Art des Antrags / RechtsmittelsDatumVerfahrenslaufzeitBemerkung
Verwaltungsgericht der Ev.-Luth. Landeskirche SachsensKVwG 4/2016-KfVKostenfestsetzungsantrag22.05.2018945 Tage

Beschluss v. 23.03.2020, Zustellung am 01.04.2020

Beschluss v. 05.12.2020, Zustellung am 22.12.2020
Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der Ev. Kirche in Deutschland0134/1-2016Kostenfestsetzungsantrag31.03.2016797 Tage

Beschluss v. 04.06.2018, Zustellung am 06.06.2018

Entschädigungsklage abgewiesen: Kirchengerichtshof der Ev. Kirche in Deutschland, Verwaltungssenat, Gerichtsbescheid v. 18.06.2018, Az. 0135/3-2018 und Urteil v. 23.11.2018, Az. 0135/3-2018
Verwaltungskammer bei dem Kirchengericht der Ev. Kirche in Deutschland0136/B6-2017Kostenfestsetzungsantrag18.07.2017409 Tage

Beschluss v. 27.08.2018, Zustellung am 31.08.2018

(Sie kennen ebenfalls ein überlanges Verfahren? Schreiben Sie gerne eine Email mit den Verfahrendaten.)

Aus hiesiger Sicht ist das o.g. Urteil vom 23.11.2018 kritikwürdig. Denn die Vorschriften des staatlichen Gerichtsverfassungsgesetzes könnten (jedenfalls entsprechend) auch ohne inhaltlichen Wertungswiderspruch auf die kirchliche Gerichtsbarkeit angewandt werden. Die Kirchengesetze sehen verschiedene Verweisungsnormen vor. Demnach würde dann gelten:

Gemäß § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Darunter ist die formelle Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen, so dass in die Verfahrensdauer auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einbezogen ist,

vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 11.07.2013, Az. 5 C 23/12 D, juris; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013,
§ 198 GVG Rn. 54 m.w.N.

Das Kostenfestsetzungsverfahren ist ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

vgl. Oberlandesgericht Zweibrücken, Urteil v. 26.01.2017, Az. 6 SchH 1/16 EntV, Rn. 19, juris; Oberlandesgericht Hamm, Urteil v. 10.08.2016, Az. 11 EK 5/15.

§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG bestimmt, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter bestimmt.

Damit hat der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen, weil eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unangemessen lange dauert, nicht möglich ist (vgl. Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2010, 205 ff.; Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drs 540/10, S. 24 = BT-Drs 17/3802, S. 18). Er benennt vielmehr nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit einer Verfahrensdauer besonders bedeutsam sind (vgl. BT-Drs 17/3802, S. 18). Derartige Umstände reichen indes nach Auffassung der bisher ergangenen Rechtsprechung für die Anwendung des Begriffs der „unangemessenen Verfahrensdauer“ nicht aus. So führt das Bundesverwaltungsgericht aus:

„Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes ‚insbesondere‘ zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18). […] Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. […] Der unbestimmte Rechtsbegriff der ‚unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens‘ (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. […] Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.). […] Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 – Vz 1/12NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 – juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.). […] Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 – 1 BvR 1304/09EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 – X K 3/12BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). […] Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 11.07.2013, Az. 5 C 23/12 D.

Die Dauer eines Verfahrens ist demnach zwar in hohem Maße von dem Verhältnis abhängig, in dem die Zahl der von Rechtssuchenden betriebenen Verfahren zu den persönlichen und sächlichen Mitteln des jeweils zuständigen Gerichts steht. Ein Rechtssuchender muss somit ohne Zweifel damit rechnen, dass der zuständige Richter bzw. im Kostenfestsetzungsverfahren auch der zuständige Kostenbeamte neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist dem Rechtssuchenden eine gewisse Wartezeit zuzumuten.

Diese ist bei den hier genannten Verfahren überschritten. Auch unter Berücksichtigung der begrenzten sachlichen und personellen Ressourcen der ehrenamtlich tätigen Kirchengerichte – mit hauptamtlich tätigen Urkundsbeamten (bei der Ev. Kirche in Deutschland etwa gem. § 15 Abs. 2 KiGG.EKD) – stellt sich die Verfahrensdauer als nicht mehr gerechtfertigt und unverhältnismäßig dar.

Die konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles können diese deutliche zeitliche Überlänge der Verfahren nicht erklären.

Die überlange Verfahrensdauer trägt dazu bei, das Vertrauen der Betroffenen in ihr (staats-)verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf effektiven Rechtsschutz nachhaltig zu erschüttern. Dass die Parteien zwar in den Verfahren in der Hauptsache obsiegen konnten, sodann aber darüber im Unklaren gelassen werden, in welcher Höhe die ihnen bereits entstandenen Kosten durch die Gegenseite zu erstatten sind, konterkariert den Rechtsschutzgedanken des Grundgesetzes und ist für den Rechtssuchenden, der sich der kirchlichen Justiz überantworten muss, nicht hinnehmbar.

Durch die überlange Verfahrensdauer haben die Betroffenen einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Ein solcher Nachteil kommt auch in Verfahren der Kostenfestsetzung in Betracht.

vgl. Oberlandesgericht Zweibrücken, Urteil v. 26.01.2017, Az. 6 SchH 1/16 EntV, Rn. 25, juris; Oberlandesgericht Hamm, Urteil v. 10.08.2016, Az. 11 EK 5/15, juris, Rn. 31; Landessozialgericht Bayern, JurBüro 2016, 265, juris, Rn. 49, 56.

Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich.